Interview mit einem Palliativarzt

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    Prof Dr. med Sven Gottschling ist Palliativarzt und hat über seine Arbeit ein interessantes und informatives Buch geschrieben.  
    Das Buch ist auf der Webseite bei den Buchtipps aufgelistet, ebenso auch unter dem Interview.

    Ich freue mich, dass ich mit Herrn Gottschling ein Interview führen konnte zum Thema Sterben und Palliativmedizin.



    1.) Sehr geehrter Herr Prof. Dr. med Gottschling, ich freue mich, dass ich mit Ihnen ein Interview führen darf zum Thema Palliativmedizin. Wie sind Sie Palliativarzt geworden bzw warum haben Sie sich für diesen Fachbereich entschieden?


    Ich habe mich schon während des Studiums sehr mit dem Thema Versorgung sterbenskranker Kinder beschäftigt und bin auch nach dem Studium in eine Kinderkrebsabteilung gegangen. Letzten Endes habe ich im Jahr 2010 die einmalige Chance bekommen, an einem Universitätsklinikum den damals noch nicht existierenden Bereich „Palliativmedizin“ neu zu gründen und aufbauen zu dürfen, und das auch in einer zumindest in Europa bislang einzigartiger Form, nämlich einer altersübergreifenden Palliativabteilung, in der wir vom Baby bis zum Greis alle Menschen versorgen. Ich persönlich finde diese Arbeit extrem wichtig. Wir können Menschen noch unendlich viel leidvolle Symptome lindern, Angehörige begleiten, und ich empfinde es trotz der Tatsache, dass unsere Patienten alle sterben, als eine sehr sinnstiftende Tätigkeit. 


     


     

    2.) Sie haben auch ein wie ich finde sehr schönes und informatives Buch über das Sterben geschrieben. Wie kam es zu dieser Idee, darüber ein Buch zu  verfassen?

     


    Die Idee, ein Buch zu schreiben, wurde von außen angestoßen. Ich habe vor einigen Jahren ein Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gegeben zum Thema „Wie gehen Kinder mit dem Thema Tod um?“. Aufgrund dieses Interviews wurde ich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, ein Buch zum Thema „Palliativversorgung für Laien“ zu schreiben. Ich bin mit sehr viel Respekt an das Projekt rangegangen, freue mich aber sehr, dass das Buch doch wohl bei vielen Lesern genau das bewirkt, was ich mir gewünscht habe: dass es Ängste nimmt, dass es aufklärt, dass es den ein oder anderen Mythos entzaubert und vielleicht dieses Thema wieder ein bisschen mehr in die gesellschaftliche Mitte rückt.



    3.) Finden Sie, dass das Thema Sterben in unserer heutigen Zeit noch (zu) sehr tabuisiert wird?


    Ja, ich finde, dass das Thema Sterben immer noch extrem tabuisiert wird. Natürlich hat sich hier einiges getan und man kann und darf darüber durchaus offener reden als noch vor einigen Jahren. Trotzdem handelt es sich in meinen Augen immer noch um das letzte große Tabu.



    4.) gehen sterbenskranke Kinder anders mit dem Thema Sterben bzw dem Wissen bald zu sterben anders um als Erwachsene?


    Sterbenskranke Kinder gehen teilweise völlig anders mit dem Thema um als Erwachsene. Das hängt aber auch ein Stück weit daran, dass sie ganz andere Todeskonzepte haben. Kleinen Kindern zum Beispiel fehlt der Endlichkeitsbegriff, d. h. für die ist Sterben immer noch etwas zeitlich begrenztes. So klingen mir auch noch die Worte eines knapp vierjährigen Kindes in den Ohren. Das war jetzt nicht selbst als Patient betroffen, sondern seine Mutter war an einer Tumorerkrankung vor wenigen Wochen verstorben. Dieser Vierjährige fragte seinen Vater ganz interessiert „Wann hat sich die Mama eigentlich endlich ausgestorben?“. Kinder trauen sich vielmehr, Fragen zu stellen. Trauen sich viel offener, über das Thema nachzudenken, aber nur dann, wenn man sie auch wirklich kindgerecht und auch mit für Kindern verständlicher Sprache in diese Auseinandersetzung mit dem Sterben einbindet. Ich denke, wir Erwachsenen können und könnten hier von Kindern noch ganz viel lernen.



    5.) Wie kommt man als Arzt damit klar, sterbende Menschen zu unterstützen, wo man doch als Arzt eigentlich gelernt hat gesund zu machen?


    Ja, das ist eine gute Frage. Natürlich ist unser Fachgebiet eigentlich unsexy, weil wir niemanden mehr gesund machen. Andererseits können wir so viel Leid lindern, können wir so wirksam helfen und können wir so gut Angehörige stützen, dass ich auch diese Form der Unterstützung und Begleitung als urärztliche Aufgabe betrachte. Und wenn man sich nochmal überlegt, dass seit Beginn der Menschheit auf diesem Planeten 200 Milliarden Menschen gestorben sind und dass dieser Trend wohl anhalten wird, sollte spätestens jetzt jedem bewusst sein, wie wichtig auch dieser medizinische Bereich der Versorgung ist.



    6.) Wo liegt der Unterschied zwischen einer  Palliativstaion und einem Hospiz?


    Ein Hospiz ist eine Pflegeeinrichtung mit einem besonders geschulten Personal und einem in der Regel deutlich besseren Personalschlüssel als in einer Pflegeeinrichtung. Hier ist aber nicht rund um die Uhr ein Arzt vor Ort oder verfügbar. Eine Palliativstation ist eine Akutstation in einem Krankenhaus, Hier können Menschen stationär aufgenommen werden,  die an einer lebensbegrenzenden Erkrankug leiden und die gravierende Symptome haben, die einer akuten Behandlung bedürfen,  wie zum Beispiel schwer einstellbare Schmerzen, Luftnot, unstillbare Übelkeit und vieles mehr.  Ziel ist hier, diese Menschen soweit zu stabilisieren,  dass sie entweder nochmals nach Hause entlassen werden können oder ohne zusätzliche Unterstützung bzw beschwerdegelindert in ein stationäres Hospiz verlegt werden können.

    In einem stationären Hospiz sterben schon die weit überwiegende Anzahl der Patienten,  die dort auch oft Gäste genannt werden. Auf Palliativstationen sterben c.a. 50 Prozent der Patienten,  weil sie zu krank sind,  um sie nochmal zu stabilisieren oder weil eine Erkrankung zu weit fortschreitet, aber immerhin rund 50 Prozent verlassen so eine Station auch wieder lebend.


    7.) Wie ist die Kommunikation mit sterbenden Menschen?


    Ich hoffe ja immer, dass eine Kommunikation mit sterbenden Menschen genauso gelingt wie mit jedem anderen Menschen auch. Diese Menschen wünschen sich Klarheit, diese Menschen wünschen sich Offenheit, diese Menschen wünschen sich aber auch durchaus auch eine freundliche, offene Gesprächsatmosphäre.  Generell gilt: jeder Mensch, den wir behandeln, darf alles fragen und er wird von uns auch immer eine ehrliche Antwort bekommen.  Auch wir haben nicht auf alles Antworten, aber wir stellen uns jedem Gespräch, wir stellen uns auch Ängsten und Nöten  und können auch die durchaus nachvollziehbare Wut und Aggression mancher Patienten, die zum Beispiel auch mit ihrem Schicksal hadern, aushalten und diese Patienten ein Stück weit auf ihrem Weg mitbegleiten.

     

    8:) Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

    Ich habe eine Familie über Jahre betreut und begleitet, deren vier Kinder alle aufgrund eines jeweils von einem Eltenteil vererbten defekten Genes an Krebs erkrankt sind und wo auch alle vier Kinder an unterschiedlichen Krebserkrankungen irgendwo im Alter zwischen vier und achtzen Jahren letzlich verstorben sind. Ich glaube, jeder Mensch kann nachvollziehen, dass das einfach ein unglaubliches Schicksal ist, was diese Familie tragen mußte, die ihre vier Kinder in einer Zeitspanne von rund zehn Jahren nacheinander verloren hat.  Schön ist, dass ich auch Jahre nach dem Tod des letzten Kindes immer noch Kontakt zur Familie hatte, weil der Vater mich aufgrund von Rückenschmerzen als Schmerztherapeut zur Akupunktur weiter aufgesucht hat. Und es ist ein unglaublich gutes und schönes Gefühl zu sehen, dass auch so eine Familie mit unfassbaren Schicksalsschlägen es trotzdem immer noch schafft, zumindest in Ansätzen wieder zurück zu finden. 

    Herzlichen Dank für das interessante Interview!

    Das Buch von Herrn Prof. Dr. med Gottschling:




     

     

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